Lübeck/Hamburg – Es ist gerade mal eine Woche her, da rief der Schleswig-Holsteinische Fußballverband eine Arbeitsgruppe ins Leben, die sich aktiv mit Sportwetten und Spielmanipulationen im Amateurfußball auseinander setzen soll und auch präventiv eingreifen soll. Auslöser für die Aktion des SHFV waren die (sehr konkreten) Verdachtsmomente bei Oberliga-Spielen in Hamburg und die dort eingeleiteten Ermittlungen des Fußballverbandes.
Nicht wenige Trainer, Funktionäre und Spieler sind der Meinung, dass dies in ihren Ligen und Vereinen nicht passieren kann, doch der folgende Text zeigt, dass es sich bei den mutmaßlichen Spielmanipulationen und dem damit einhergehenden Wettbetrug nicht nur um ein Hamburger Phänomen handelt. Die Autoren Dirk Becker, Dennis Kormanjos und Christoph Holzenkamp zeigen in ihrem Text auf, dass das Problem deutlich größer und facettenreicher ist, als es den Anschein macht.

Hamburg, Ende Oktober 2014. Unter der Überschrift, „Wetten, … dass der Fußball Schaden nimmt?!“ hat der HFV zu einer Talkrunde geladen. Brisantes Thema des Abends: verbotene Sportwetten im Amateurfußball – Werden Spiele verschoben? Wenige Tage vor der Veranstaltung schlug die Veröffentlichung der dreiteiligen Video-Reportage „Im Sog der Sportwette. Wie sich der deutsche Amateurfußball manipuliert“ hohe Wellen. Der investigative Beitrag von ELBKICK.TV thematisiert die grundsätzliche Problematik und die gängige Praxis, dass im Amateurfußball Woche für Woche auf teils eigene Spiele gewettet wird. Der verantwortliche Journalist Matthäus Kosik erläutert zu Beginn der Runde den Hintergrund des Berichts: „Als Spieler habe ich viel mitbekommen in der Kabine. Oftmals stehen die Quoten für die Akteure im Vordergrund und nicht der Sport. Dies habe ich zum Anlass genommen, das Thema aufzunehmen.“ Der Bericht geht in die Tiefe, thematisiert die Verlockung, schnell und unkompliziert Geld bei privaten Wettanbietern auf den Ausgang von Amateurspielen zu setzen und zeigt die Struktur des deutschen Glücksspielrechts auf. Ein Informant nennt Fallbeispiele verschobener Partien, Namen involvierter Spieler werden hingegen nicht bekannt.

„Jeder Klub hat Minimum ein schwarzes Schaf in seinen Reihen!“
Das Thema zieht in der Folge weitere Kreise. Etwaige Hamburger Medien berichten über die Vorfälle. „Ich bin mir sicher, ohne es beweisen zu können, in der Oberliga sind Spiele von Spielern verschoben worden!“, sagt Nils Kuntze-Braack, ehemaliger Liga-Obmann des Hamburger Oberligisten TuS Germania Schnelsen, gegenüber den FussiFreunden. Insbesondere zwei Begegnungen stehen dabei im Fokus. Am 31. Spieltag der Saison 2013/14 unterliegt Germania Schnelsen daheim dem Oststeinbeker SV mit 3:4 – nach einer 3:1-Führung. Eine Woche darauf verlor Schnelsen in Bramfeld mit demselben Resultat durch ein Gegentor in der 90. Spielminute. „Fakt ist, dass mich zweimal nach Spielen von Germania Schnelsen, die man beide mit 3:4 verlor, voneinander unabhängige Leute darüber informierten, dass in besagten Spielen nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein soll“, erklärt Kuntze-Braack und geht ins Detail: „Spieler von Oststeinbek sollen vor der Partie von Schnelsen-Spielern angesprochen worden sein. Man habe auf dieses und jenes Ergebnis gewettet und wollte Hälfte/Hälfte machen.“ Als diese Gerüchte auftraten, ging der Verein dem sofort auf den Grund: „Wir haben mit den Spielern, die uns genannt wurden, umgehend gesprochen. Aber sie haben das vehement bestritten. Wir konnten damit als Verein nur so umgehen, wie wir es getan haben. Allerdings konnten wir nichts nachweisen, von daher blieben es Gerüchte.“

Nicht nur die zwei erwähnten Oberliga-Duelle machen Kuntze-Braack stutzig: „Wenn man mal die gesamte Saison Revue passieren lässt und alle Tore zusammenaddiert, die wir in den letzten zwei, drei, vier, fünf Minuten kassiert haben – und da waren einige dabei, wo man sich nur an den Kopf fasst –, lässt einen das schon ins Grübeln kommen.“ Allerdings warnt er eindringlich davor, von einzelnen Spielern auf den ganzen Verein zu schließen: „Nein, der TuS Germania Schnelsen hat damit nichts zu tun – da sollte man tunlichst aufpassen! Die Vereine wissen von nichts und sind definitiv nicht in Wettbetrügereien verwickelt.“ Auch wenn er sich sicher ist: „Jeder Klub hat Minimum ein schwarzes Schaf in seinen Reihen!“

„Das ist verheerend für das Image des Amateurfußballs“
Zurück zum HFV-Talk. Die Frage, wie konkret der Amateurfußball von Manipulation betroffen ist und wie dem Einhalt geboten werden kann, wird in die Runde geworfen. Agenda. Dr. Rainer Koch (1. Vizepräsident des DFB) ergreift das Wort und warnt davor, dass bei allen Anschuldigungen und Verdachtsmomenten nicht der Eindruck entstehen dürfe, dass jedes zweite Spiel verschoben und mit einer Partie hunderttausend Euro zu verdienen sei. „Das ist verheerend für das Image des Amateurfußballs.“ Konkrete Maßnahmen müssen seiner Meinung nach dennoch getroffen werden: „Wir müssen verhindern, dass das Spiel nicht ehrlich gespielt wird. Bereits Absprachen müssen unter Strafe gestellt werden. Es muss präventiv gearbeitet werden.“ Wenige Tage später informiert der Hamburger Verband, dass die „spielleitenden Ausschüsse beauftragt werden, den erhobenen Behauptungen über eventuelle Spielmanipulationen durch Wetten nachzugehen und Personen, die konkrete Verdachtsfälle geäußert haben, vorzuladen, um diese zu befragen, damit diese den HFV bei der Aufklärung und Ahndung unterstützen.“ Ober- und Landesligaspieler haben ab der kommenden Saison zudem eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben. „Allen Spielern ist untersagt, auf Gewinnerzielung gerichtete Sportwetten selbst oder durch Dritte, insbesondere nahe Angehörige, für eigene oder fremde Rechnung auf den Ausgang oder den Verlauf von Fußballspielen oder Fußballwettbewerben an denen die eigene Mannschaft beteiligt ist, abzuschließen“, heißt es im Wortlaut.

Es sind einige Tage ins Land gestrichen, als sich der Verband nach einem Treffen mit Vertretern von Tipico, dem größten privaten Wettanbieter Deutschlands, erneut an die Öffentlichkeit wendet. Zwischen den Parteien sei ein „enger Austausch“ vereinbart worden. „Etwaige Auffälligkeiten im Wettgeschehen bei Spielen der Oberliga Hamburg“ seien dem HFV fortan frühestmöglich mitzuteilen. Bei dem Treffen steht auch zur Debatte, das Wettangebot auf Oberligaspiele komplett aus dem Programm zu nehmen, was Tipico mit Blick auf die Wettbewerbssituation letztlich jedoch ablehnt. Ohnehin würde eine solche Maßnahme das ursächliche Problem nicht lösen, heißt es in einem offiziellen Statement.

Orts- und Szenenwechsel. Anfang November geht beim Niedersächsischen Fußball-Verband (NFV) eine Verdachtsanzeige des TB Uphusen ein. Der Klub aus Achim gibt an, zwei seiner Akteure könnten das Match gegen den SSV Jeddeloh (2:4) manipuliert haben. Der kuriose Spielverlauf lässt reichlich Raum für Spekulation – Uphusen verschießt in der Schlussphase einen Elfmeter und kassiert zwei unnötige Feldverweise. Ein absichtliches Manipulationsverhalten steht im Raum, inzwischen ermittelt auch die Kripo. Die Syker Kreiszeitung fragt daraufhin bei Tipico nach. Dominic Sauer, Leiter Unternehmenskommunikation, räumt ein, „dass bei diesem Oberliga-Spiel zwischen Uphusen und Jeddeloh vieles zusammenpasst, was auf den ersten Blick nach einem Wettbetrug aussieht“. Eine Streichung von Oberligaspielen aus dem Wettangebot soll jedoch nicht vollzogen werden: „Unter dem Strich ist die Auffälligkeit in dieser Liga nicht hoch. Natürlich werden wir jetzt genau hinschauen, wie sich die Lage weiter entwickelt. Was nicht heißt, dass wir sofort Oberliga-Spiele herausnehmen, wenn sich bei dem einen oder anderen Spiel eine hohe Anzahl an Wetten abzeichnet. Denn dahinter steckt nicht immer Manipulation. In der Oberliga sind Einsatz- und Gewinnhöhe ohnehin begrenzt.“

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„Plötzlich erscheint der Ausgleich in einem ganz anderen Licht“
Ebenfalls in der Oberliga Niedersachen beheimatet ist Eintracht Northeim. Angesprochen auf den Uphusener-Vorfall entgegnet Northeim-Angriffsspieler Melvin Zimmermann (FC Eintracht Northeim): „Das ist schon eine ziemlich schlimme Angelegenheit, wenn so was sogar schon in der Oberliga vorkommt. Warum diese Wetten im Amateurbereich überhaupt möglich sind, sollte hinterfragt werden. Die Entstehung zu unserem späten Ausgleich in Uphusen erscheint plötzlich auch in einem ganz anderen Licht (Spiel endete 3:3, Anm. d. Red.).“

Nah dran am Amateurfußball-Geschehen ist traditionell die lokale Presse. Moritz Braukmüller, Berichterstatter für regiokick.com für den Kreis Einbek und Northeim: „Natürlich hat uns diese Nachricht schockiert, aber wenn es möglich ist, auf Amateursport zu wetten, dann ist das ein hausgemachtes Problem und Betrug vorprogrammiert! Fair Play ist ja schon seit geraumer Zeit auf dem Rückzug!“

Ins selbe Horn wie Braukmüller stößt Daniel Sobolewski, Chefredakteur von RHEINFUSSBALL. „Die Mittelrheinliga besteht fast ausschließlich aus Vereinen, die dort ihren Zenit erreicht haben. Diese Liga ist Amateurfußball pur, denn kaum ein Klub ist finanzstark oder hegt sportliche Ambitionen nach oben. In so einer Spielklasse als internationaler Anbieter Sportwetten anzubieten, ist unverantwortlich. Minimale Aufwandsentschädigungen für die Spieler, in den seltensten Fällen TV-Bilder von Partien und eine sehr geringe Fallhöhe in die Landesliga lassen unter Garantie viele Akteure schwach werden, auf Spiele aus der eigenen Liga und sogar auf die eigene Mannschaft zu wetten.“

Auch im Ruhrgebiet nimmt man „immer mal wieder Gerüchte“ von Spielmanipulation wahr, sagt Christian Brausch, Chefredakteur von Reviersport. Allerdings bleibe es bei den Gerüchten, Beweise gebe es keine. „Interessant war vor allem der Fall des Essener Wettbüros, in dem man auch auf Kreisligaspiele in Essen wetten konnte, wenn auf dem Schein eine bestimmte Anzahl von Spielen war. Allerdings hat das Angebot nicht lange Bestand gehabt, da die Trainer der unterklassigen Vereine dagegen waren. Schnell gab es Gerüchte, nach denen es Spielern mehr um einen schnellen Euro als um den Sport ging. So wurden die Proteste immer heftiger, bis das Wettbüro diese Geschäftsidee am Ende wieder aufgab.“

Dass das Wettgeschäft mit Amateurfußball prinzipiell aufgegeben oder gar verboten wird, davon ist angesichts der Verdienstmöglichkeiten für Anbieter und Staat nicht auszugehen. Und so wird das Thema Sportwetten – trotz Frühwarnsystemen oder Verpflichtungserklärungen – stets auch eine Frage der sportlichen Moral bleiben. Wie steht es um unsere Liebe zum (Glücks-)Spiel?

Text: Dirk Becker, Dennis Kormanjos, Christoph Holzenkamp

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